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Rezension: Gefährliche Geliebte- Harukami Murakami


Was ist die Liebe in ihrer reinsten Form?

Ich wundere mich eigentlich immer noch, dass ich dieses Buch erst jetzt gelesen habe.

Reich-Ranicki kommentierte einst: "Ein hocherotischer Roman. Ich habe eine solche Liebesszene seit Jahren nicht mehr gelesen."

Ich auch nicht, lieber Herr Reich-Ranicki.

Die Liebesszene war es allerdings nicht, die mich dazu bewegte, mich intellektuell mit dem Buch zu befassen, sondern mich berührten Murakamis bemerkenswerte Betrachtungen über die reinste Form der Liebe.

Diese scheint- Platon wusste es bereits und ich habe es durch diesen Roman auch irgendwie begriffen -, eine ausschließlich geistig-seelische Angelegenheit zwischen zwei Menschen zu sein. Warum?

Zum Buch: Hajime, ein Einzelkind übrigens, begegnet als Zwölfjähriger der wunderschönen, leicht gehbehinderten Shimamoto, die ebenfalls ein Einzelkind ist. Murakami erwähnt dies nicht ohne Grund mehrmals.

Fast täglich treffen die beiden sich, hören gemeinsam Musik und sprechen über Bücher, die sie beide gelesen haben. Innige Freunde sind sie, sogar mehr als das. Die gegenseitige Anziehung ist spürbar, aber sie zeigt sich nicht in sexueller Handlung.

Als Hajimes Eltern in eine andere Gegend ziehen, sehen sich die beiden jungen Menschen nicht mehr. Beide leiden unendlich an ihrer Sehnsucht zueinander.

Hajime, der Ich-Erzähler, beginnt von seinem sinnentleerten Leben zu berichten, bis zu dem Tag, der erst 24 Jahre später eintreten soll, als er seine zweite Hälfte (um im Bild Platons zu sprechen) wiederfindet und sie in diesem Leben dann doch vielleicht für immer zu verlieren scheint.

Hajime erzählt von seinen facettenreichen Erfahrungen mit Frauen während seiner College-Zeit und immer wieder von seiner nicht enden wollenden Sehnsucht nach Shimamoto.

Irgendwann verliebt er sich in Izumi, vollzieht mit diesem Mädchen seinen ersten Beischlaf, wird ihr untreu, weil er sich sexuell magisch von deren Cousine angezogen fühlt und vögelt mit dieser, wie er schreibt, geradezu bis zur Hirnerweichung.

Das Mädchen, das er betrogen hat, verlässt ihn und wird über den vermeintlichen Verrat nicht hinwegkommen. Sie zerbricht an dem, was geschehen ist. Hajime hat wegen dieser Geschehnisse noch während der Erzählzeit ein schlechtes Gewissen. Im Grunde jedoch hat er dieses Mädchen nicht wirklich betrogen, denn der Akt mit der Cousine war ein emotionsloser, rein mechanischer Lustakt.

Hajime sieht diese Affäre getrennt von seiner gefühlsorientierten Beziehung zu Izumi. Leider ist diese Gegebenheit für Izumi nicht nachvollziehbar, weil ihre Verliebtheit besitzergreifenden Charakter hat.

Nach dem College arbeitet Hajime eine Weile als Lektor in einem Schulbuchverlag, nach wie vor verzehrt er sich nach Shimamoto, die ihm irgendwann zufällig in Tokio begegnet. Er erkennt sie zu spät und wird tragischerweise durch ein merkwürdiges Ereignis daran gehindert, ihr nachzueilen.

Nun zwingt Hajime sich,  seine eigentliche Frau,- seine Dual-Seele, wenn man so will-, zu vergessen. Er lernt Yokiko kennen. Sie ist die Tochter eines Baulöwen und Geschäftemachers aus Tokio. In sie verliebt Hajime sich, heiratet, wird Besitzer einer gut florierenden, exklusiven Jazz-Bar und gründet eine Familie. Endlich scheint er den Zustand seiner inneren Einsamkeit verloren und sich emotional glaubhaft in eine neue Situation eingerichtet zu haben.

Doch da erscheint nach 24 Jahren Shimamoto eines Abends in seiner Bar. Erneut ist er sofort hingerissen und kann nur noch an diese Frau denken.

Shimamoto kommt stets für ein paar Stunden, um mit Hajime zu sprechen, dessen Nähe sie sucht, um sich für eine kurze Weile vollständig zu fühlen. Sie möchte mit ihm nicht über ihr Leben sprechen. Sie möchte sich nur auf das, was sie beide betrifft, beschränken. Sie will ganz mit ihm sein.

Irgendwann verschwindet Shimamoto unangekündigt für sechs Monate aus Hajimes Leben.

Das ist der Zeitpunkt, wo sich sein Sehnen ins Unermessliche steigert und er, wenn er mit seiner durchaus von ihm geliebten Gattin beischläft, in Wahrheit Shimamoto in den Armen hält und nur noch an sie denken kann.

Hajime quält sich. Was mit ihm geschieht, liegt jenseits seines Wollens.

Als Shimamoto nach sechs Monaten erneut in die Bar kommt, entscheiden sich beide eine gemeinsame Nacht miteinander zu verbringen.

Auf der Autofahrt zu dem Haus, wo es zu Reich-Ranickis hochgelobter Liebesszene kommt, denkt Shimamoto daran,  Hajime ins Lenkrad zu fassen, wohl in der Absicht den Eros zu überwinden, um auf ewig im Tod miteinander vereint zu sein und durch das Einfrieren der Liebe den Zustands des Glücks zu konservieren, der im Alltag mit den Jahren zunichte gemacht werden könnte.

Shimamoto weiß, wenn sie mit Hajime beischläft, will sie ihn ganz und für immer. Um sich den Wechselfällen des Lebens zu entziehen, möchte sie lieber den Tod.

Während der Liebesnacht bemerkt man, dass ihr Begehren ein geradezu tödliches Verlangen nach Ewigkeit in sich trägt.

Hajime ist nach der körperlichen Verschmelzung mit seinem Herzensdu für lange Zeit nicht mehr existent. Er will nicht mehr leben, weil Shimamoto tags darauf plötzlich verschwindet und wie er vermutet sich selbst getötet hat.

Nach einiger Zeit schafft Hajime es, in sein Leben zurückzukehren, aber er ist ein anderer als zuvor..........

Besuchen Sie den Friedhof Pere Lachaise/Paris. Dort ruhen Abaelard und Heloise ganz nah beieinander. Auf einer höheren Ebene sehe ich Parallelen zu Hajime und Shimamoto und bin immer noch überrascht,  welch wunderbares Buch Murakami geschrieben hat.

Sehr lesenswert.




Rezension: Der goldene Pelikan- Stefan Chwin

Seelenpein und deren Folgen.

Der polnische Schriftsteller Stefan Chwin erzählt die Geschichte eines Danziger Juraprofessors, genannt " Jakub". Dieser Mann wird vom Autor als hochgebildet gezeichnet. Er befasst sich mit den bedeutensten europäischen Schriftstellern und Philosophen , vor allem mit Kant und versucht in seinen Vorlesungen immer wieder ethische Fragestellungen zu beantworten . Diesen Rechtsgelehrten quält das Gewissen, weil er annimmt, dass eine seiner Studentinnen aufgrund ihres fälschlicherweise nicht bestandenen Examens Selbstmord begangen hat.


Besagte Studentin lässt zuvor den zu diesem Zeitpunkt sehr gestressten Professor wissen, dass er es war, der eine fehlerhafte Eintragung in die Benotungsliste vorgenommen habe und bittet ihn diese Eintragung zu überprüfen. Unwirsch kanzelt der Prüfer die Geprüfte ab. Kurz darauf liest er dann in der Zeitung vom Suizid einer Studierenden. Jakub fragt sich immer wieder, ob es sich bei betreffender Person um das junge Mädchen handelt, welches er so selbstgerecht ihrer ungewissen Zukunft überlassen hat.


Durch seine Zweifel gerät er in eine immer tiefere Lebenskrise und beginnt seine Persönlichkeit zu verändern. In seiner Seelenpein sucht er verschiedene Geistliche und einen Psychologen auf, um so vielleicht sein Gewissensproblem in den Griff zu bekommen. Keiner der von ihm konsultierten kann ihm helfen. Nachdem ihn seine völlig entnervte Ehefrau verlässt, kehrt er der Universität den Rücken, beginnt zu trinken , zu stehlen und verliert schließlich seine Wohnung. Aus dem bürgerlichen, sorgfältig auf sich achtenden Herrn ist ein abgerissener Obdachloser geworden.

Auf der Straße wird er nun mit fürchterlicher Armut, mit unsäglichem Schmutz, mit schockierender Brutalität und immer wieder mit Demütigungen konfrontiert. Er muss mit ansehen, wie eine Weggefährtin von Schlägern schrecklich misshandelt und bei lebendigem Leib verbrannt wird. Jakub verliert bei diesem Anblick seine Sprache. Wie durch ein Wunder zieht ihn eine Frau, der er in seinem Leben schon einmal begegnet ist, aus der Gosse. Dieser ebenfalls vom Leben gebeutelte Mensch erbarmt sich seiner. Durch jene Frau erfährt Jakub, dass man nur dadurch eigenes Leid lindern und seine Schuld sühnen kann, wenn man sich selbst vergessend dem Leid anderer zuwendet und Hilfe leistet.Durch diese Offenbarung kann Jakub endlich Frieden mit sich schließen und ist bereit für eine Reise ins Unbekannte....

Stefan Chwin vermag mit Worten grandiose Bilder zu malen, die an die Werke Hieronymus Boschs erinnern. Darüber hinaus bringt der Autor dem Leser die alte Hansestadt Danzig in ihren wirren Zeitläuften nahe. Hauptsächlich jedoch geht dieser hervorragende Schriftsteller Sinnfragen nach.

Über Sätze , wie etwa den, " dass das Menschsein nur die quälende Erfahrung des Verlustes ist, mehr nicht" oder die " Kultur die Quelle des Leides " verkörpert, lässt sich lange nachdenken. Sentenzen dieser Art finden sich viele in diesem ganz außerordentlichen Roman, den ich an dieser Stelle nachhaltig empfehlen möchte.




Rezension: Der Tangosänger- Tomas Eloy Martine

Der Ich- Erzähler in diesem Roman ist ein junger Amerikaner, namens Bruno Cadogan. Dieser schreibt gerade an seiner Dissertation, die die Werke des argentinischen Dichters Borges zum Gegenstand haben. Durch seine diesbezüglichen Studien beginnt Bruno sich für den argentinischen Tango zu interessieren, denn Borges hat auch zu diesem Thema etwas zu Papier gebracht. Bruno hört von einem Tangosänger, der besser singen soll als einst der berühmte "Gardel".

Dieses Sangeswunder heißt Julio Martel. Ihn möchte der Doktorand hören und sehen. Deshalb reist er nach Buenos Aires. Es ist schwierig über Martel etwas in Erfahrung zu bringen, weil er schon seit langem nicht mehr öffentlich auftritt. Im Zuge seiner Recherche lernt Bruno Alcira kennen. Diese Frau weiß mehr von Martel, u.a. auch, dass er schwer krank ist. Alcira begleitet den jungen Amerikaner durch die argentinische Metropole und zeigt ihm die morbide Schönheit einer Stadt, die schon bessere Zeiten erlebt hat. Alcira bringt ihn in Gegenden, die ein Tourist alleine nicht finden würde. Der Sänger Martel, so erfährt Bruno, singt stets auf Plätzen, die für die Stadt eine unrühmliche Bedeutung haben.

So etwa auf dem Platz, wo einst die alten Schlachthöfe standen. Dort ist man mit den ungezählten Rindern, die zum Verzehr bestimmt waren, nicht gerade zimperlich umgegangen, wie die verschiedenen Tötungsrituale dokumentieren. Martel singt auch auf Friedhöfen und man vermutet, dass er vor dem Haus der Greisin Violeta Miller ebenfalls seiner Passion nachgekommen ist. Violeta, eine polnische Jüdin, die man in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts als fünfzehnjähriges Mädchen gemeinsam mit unzähligen Leidensgenossinnen nach Argentinien verschleppt hatte, wurde in den dortigen Bordellen zur Prostitution gezwungen.

Wie der Autor berichtet, wurden die Körper dieser bedauernswerten Geschöpfe so sehr geschunden, dass deren Schließmuskel platzten. In diesem Bordellmileu übrigens entstand der Tango! Violeta, die es schafft, aus dem Sexualkerker zu entfliehen, - gelangt als alte Dame, zwischenzeitlich ist sie durch einen prächtig florierenden Devotionalienhandel reich geworden, nach Buenos Aires.

Dort liefert sie aus Angst ihre Haushälterin Catalina Godel, eine von der Miliz gesuchte Widerstandskämpferin, der damaligen Militäjunta aus, um anschließend selbst von der raffgierigen Miliz ausgeplündert zu werden. Violeta und Catalina sind zwei Opfer unter vielen. Martinez berichtet in diesem Zusammenhang von den grausamen Folterungen und Morden an politisch Andersdenkenden während der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Argentinien. Und so weiß der Autor immer wieder anhand individueller Geschichten dieser Art die Geschichte von Buenos Aires zu erzählen, einer schönen, gleichwohl morbiden Stadt, in der Martel oder ein anderer Tangosänger klangvolle Lieder anstimmen, während irgendwer nachdenklich das legendäre Bandoneon dazu spielt!

Eine wehmütige Ode an Argentiniens Hauptstadt.




Rezension: Befreiung- Sandor Marai

"Ein Wahnsinniger tut etwas ohne Sinn und Verstand, nur weil man es eben machen kann" (Marai)

Sandor Márai zählt zu meinen Lieblingsschriftstellern. Mit großem Interesse habe ich während der letzten Abende "Befreiung" gelesen. Bevor ich die Leküre begann, habe ich mich allerdings erst mit dem Nachwort Lázsló F. Földényis beschäftigt. Hier erfuhr ich, dass der Roman am 3. Januar 1945 seinen Anfang nimmt und die Protagonistin Erzsébet zunächst im Geiste die zurückliegenden zehn Monate reflektiert. Hier las ich auch vom Schrecken des Pfeilkreuzerterrors. Diese Pfeilkreuzer waren eine faschistische Gruppierung, die unter F. Szálasi 1944-45 die Macht in Ungarn besaßen und ihr Unwesen trieben.

Márai lässt in sein Buch viel Eigenerfahrung einfließen, denn er hat das Ende des 2. Weltkrieges in Budapest miterlebt. Sein Haus wurde zerbombt, seine fünftausend Bände umfassende Bibliothek wurde in diesem Zusammenhang vernichtet.

"Befreiung" erzählt die Schwierigkeiten, die die junge Frau Erzsébet und ihr Vater haben, ein liberaler Wissenschaftler, der sich für die Zwecke der Nazis nicht missbrauchen lässt, sein Hab und Gut dazu nutzt, verfolgten Menschen in den Untergrund zu verhelfen und schließlich selbst abtauchen muss. Aufgrund der Schreckensherrschaft der Pfeilkreuzler-Henkersknechte sind zum Schluss auch "die letzten, mutigeren Freunde vergängstigt." In jenen Tagen wurde "massenweise verraten, wurden anonyme Briefe geschrieben oder man eilte mit vollem Namen, persönlich, einen Unglücklichen anzuzeigen, der sich im Getümmel dieser amoklaufenden letzten Runde erschöpft in die Ecke eines der hohlen Schlupfwinkel zurückgezogen hatte."

Marai lässt den Leser wissen, dass bei vielen Menschen Anteilnahme, Hilfsbereitschaft, "alle besseren menschlichen Gefühle" versiegt waren. Erzsébet ist ein Engel, eine Frau, die gegen diesen Strom schwimmt, ihrem Vater beisteht, für ihn ein Versteck findet und selbst später in einem Keller mit anderen Bewohnern der Befreiung von den Nazis entgegenfiebert. Man liest von den Ängsten der Zivilbevölkerung vor den Bomben, die zivile Häuser, Höfe, Brücken und Schutzräume trafen und erfährt von den argwöhnisch, gereizten Tönen. Erzsébet spürt im Keller mehr, was sich in den Seelen der Menschen ereignet als sie es verstehen bzw. in Worte fassen konnte.

Von einem Hausmeister ist die Rede, der mit Vorsicht zu genießen ist. Alle Personen im Luftschutzkeller wissen nicht, was ihnen bevorsteht, wenn sie seitens der Russen von den deutschen Besatzern und den ungarischen Pfeilkreuzlern befreit sind. Dennoch sehnt Erzsébet die Befreiung herbei.

Es gibt im Buch gewiss ebenso viele Reflektions- wie Handlungsebenen. Das spricht für seine Qualität. Marai schreibt an einer Stelle: "Man kann vom Verstand her nicht fassen, dass die Leute sogar noch jetzt rauben, Leben und Vermögen vernichten, ziellos im letzten Augenblick, einfach nur, weil es möglich ist." Er erklärt sich dies damit, dass sie wahnsinnig sind und ein Wahnsinniger eben ohne Sinn und Verstand agiert, nur weil man es machen kann. Einer solche Begründung stimme ich zu. Sie entspricht auch meinen Beobachtungen.

Erzsébet lernt in Gesprächen mit unterschiedlichen Personen ihre eigenen Vorurteile zu überdenken und wünscht sich nichts mehr, als dass der Hass der Menschen sich verringert und alle friedlich miteinander leben können. Sie ahnt schon jetzt, dass dies auch nach der Befreiung nicht möglich sein wird. Das bestätigt sich zu Ende des Romans, bevor sie einem unbekannten Schicksal entgegen geht.........

Ein bemerkenswerter Roman, der sich mit dem Ende der bürgerlichen Welt in Ungarn auseinandersetzt, ausgelöst durch die Nazis und weitergeführt durch die Kommunisten.


Ich möchte eine längere Textpassage zu Ende dieser Rezension auf meinem Rezensionsblog zitieren, die mir besonders gut gefallen hat und die viel über das Denken Marais aussagt: " Es kommt vor, dass man liebt, sehr liebt."..."Und dann ist ein Mensch stark. Vielleicht kann man sogar Leben retten, wenn man jemand liebt. Es gibt einen Seelenzustand oder einen Nervenzustand, den die Menschen Liebe nennen und der dauerhaft sein kann, das stimmt. Ein solcher Seelenzustand bewegt große Kräfte in einem Menschen. Wenn jemand liebt, wird er mehr, mächtiger, auch das ist wahr. Aber dieser Zustand ist vergänglich. Er vergeht und es bleibt der bloße Mensch. Nein...auch die Liebe gibt keine Befreiung. Es gibt nur eine Art von Befreiung."............"Wenn jemand stark genug ist, die Wirklichkeit in ihrer wahren Natur zu erkennen"......Ein derart starker Mensch ist der Befreiung schon ganz nah. Und er erträgt sie, ohne Kränkung, weil es die Wirklichkeit ist. "






Rezension : Ehrensachen- Louis Begley

Die Romanhandlung von Louis Begleys " Ehrensachen" beginnt in den frühen 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Harvard und erstreckt sich über viele Jahrzehnte.

Der Ich-Erzähler Sam schildert den Verlauf seiner langjährigen Freundschaft zu seinem einstigen Kommilitonen und Mitbewohner Henry.

Auch andere enge freundschaftliche Beziehungen zu damaligen Mitstudenten werden thematisiert.

Sam gehört aufgrund seiner Familienzugehörigkeit, wie die meisten seiner Studienfreunde, gesellschaftlich der Oberschicht an, während der hochintelligente Henry einen jüdischen Backround besitzt und aus dem Mittelschichten-Milieu entstammt.

Henry und seine Eltern haben bis nach dem Ende des 2. Weltkrieges noch in Polen gewohnt und dort die Nazi-Zeit in einem Versteck überlebt. Erst dann sind er und seine Familie nach New York gekommen, um hier ein neues Leben zu beginnen.

Begleys junge Harvard-Studenten streben die Umsetzung der Ideale und Lebensgewohnheiten der Ostküsten-Upperclass an. Für Henry bedeutet dies, das er immer wieder die Wertvorstellungen und Wünsche seiner Eltern ignorieren und letztlich seine eigene Persönlichkeit neu definieren muss, dennoch ist es für ihn eine Ehrensache zu bekennen, dass er ein Jude ist. Dieses Bekenntnis erfolgt allerdings nur dann, wenn er danach gefragt wird.

Der Autor zeigt, dass in den 50er Jahren in den USA, trotz der ungeheuerlichen Geschehnisse während der Hitlerzeit, innerhalb der gebildeten amerikanischen Oberschicht, die Kenntnis von all dem hatte, immer noch Vorbehalte gegenüber Juden vorhanden waren.

Begley berichtet von den Gepflogenheiten in Harvard zu jener Zeit, von den vielen Clubs und privaten Veranstaltungen, an denen die zukünftige Elite teilnahm und zeigt die Barrieren auf, die sich für einen aufstrebenden jungen Mann wie Henry ergeben haben.

Die Blasiertheit und Selbstzufriedenheit seitens der Kinder aus der Oberschicht, denen durch elitäre Internate der Weg nach Havard geebnet wurde, wird detailliert geschildert. Intelligenz und Begabung allein, das erkennt Henry schnell, genügen nicht, um gesellschaftlich an die Spitze zu gelangen. Für ihn steht fest, dass er besser sein muss als die anderen und dass er sich - bis zur Selbstverleugnung- anpassen muss.

Das Gefühl nicht wirklich angenommen zu sein, verliert Henry nie.

Der Leser nimmt an der privaten und beruflichen Entwicklung der Protagonisten teil und erhält viele Einblicke in das Upperclass-Leben aber auch in die politischen Verhältnisse jener Zeit.

Die Beziehungen zu jungen Frauen werden ebenfalls zur Sprache gebracht, hauptsächlich jedoch Henrys große Liebe- sein so genanntes Langzeitprojekt- Margot. Sie wird für ihn letztlich immer unerreichbar bleiben, weil er sich ihr gegenüber viel zu stark anpasst und deshalb nicht wirklich akzeptabel für die verwöhnte Upperclass-Tochter sein kann.

Die Romanhandlung führt in der Folge u.a. nach Europa, primär nach Belgien , das zu diesem Zeitpunkt noch vielerorts antisemitisch war, aber auch in das liberalere Frankreich. Dort kommt es immer wieder zu Begegnungen zwischen Sam und Henry. Trotz der unterschiedlichen Lebenswelten bleibt die freundschaftliche Nähe zwischen den beiden Männern erhalten, weil sie sich so akzepzieren, wie sie wirklich sind.

Vielleicht ist Sam der einzige Mensch, von dem sich Henry bedingungslos angenommen fühlt.

Während Sam viele Jahrzehnte lang regelmäßig Pychoanalytiker aufsucht, um seine Kindheitsverletzungen zu verhandeln, trägt Henry seine Eindrücke aus der Nazi-Zeit unverarbeitet mit sich herum, dennoch findet auch er einen Weg von seinem frühen Gestern erlöst zu werden.

Ein packend geschriebener, stilistisch eleganter Roman, mit vielen Handlungssträngen, die an dieser Stelle allerdings nicht alle erörtet werden können.

Ein Meisterwerk! Sehr empfehlenswert! Warum gibt es an dieser Stelle keine Buttons zum Abstimmen? Kunden können nur über die Rezensionen anderer, aber nicht über ihre eigenen Rezensionen abstimmen. Aus diesem Grund erscheinen die Buttons für eine Abstimmung nur, wenn Sie die von anderen verfassten Rezensionen ansehen.

Rezension: Salz auf unserer Haut (Taschenbuch)

Oft genug ist dieser Roman rezensiert worden und immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass hier die Liebesgeschichte einer Pariser Intellektuellen und eines bretonischen Fischers erzählt wird.

Die Handlung als Interpretationsgrundlage abermals breitgefächert wiederzugeben, möchte ich mir deshalb ersparen.

Benoît Groult, die Autorin dieses Bestsellers, gilt aufgrund ihres Engagements in der französischen Frauenbewegung als legitime Tochter Simone de Beauvoirs. Sie hat sich natürlich damit nicht zufrieden gegeben einen profanen Liebesroman zu schreiben, in dem dann scheinbar vordergründig seitenlang die Sexualphantasien einer keineswegs spröden, französischen Intellektuellen zum Besten gegeben werden.So einfach ist es nicht. Hier geht es um etwas anderes.

Groult spürt in ihrem Buch der alten Idee Platons nach von den beiden zueinander gehörenden Kugelmenschhälften (das artikuliert sie auch konkret in einer Textpassage), welche für die Autorin in gewisser Weise durch ihre Protagonisten verkörpert werden, aber die deshalb noch lange keine Persönlichkeitssymbiose oder dergleichen anstreben.

George und Gauvin, die sich als junge Menschen in den Ferien kennen lernen, passen von ihrem sozialen Backround und ihrer gedanklichen Ausrichtung nicht zueinander. Dennoch fühlen sie sich, wie durch magische Elektrizität zueinander hingezogen und verbringen irgendwann eine Nacht miteinander. Ihre Körper erkennen sich sofort und streben danach fortan vorübergehend immer wieder miteinander zu verschmelzen. Dabei wird die emotionale Sehnsucht von den Liebenden, wenn sie getrennt sind, stets auch genital wahrgenommen.

George und Gauvin treffen sich daraufhin in Paris, wo die junge Studentin und der bildschöne Fischer tagelang das Bett nicht verlassen, weil sie ein körperliches Fest der Liebe feiern, das, wie bei allen weiteren sporadischen Begegnungen, sei es auf den Seychellen, sei es in Dakar, sei es in Kalifornien oder anderswo das immer gleichbleibende Ziel der sinnlich aufgeladenen Zusammenkünfte darstellen wird.

Nicht geboren aus der Sucht nach pausenlosen Orgasmen, sondern aus dem Empfinden in körperlich-seelischer Beziehung zusammen zu gehören und dieses Wissen immer wieder erneut für ein paar Tage zu genießen, unternehmen die beiden im Laufe der Jahrzehnte stets aufs Neue große Anstrengungen, um sich den sie ungemein erfüllenden Liebesakt abermals und abermals zu schenken. Die körperliche Anziehung, auch die Lust aufeinander enden nicht.

George ist mittlerweise Hochschullehrerin in den USA, hat dort ein Verhältnis zu einem gebildeten Mann, der ihr geistig ebenbürtig ist.Doch diese Beziehung hindert sie nicht daran sich in gewissen Abständen nach Gauvin, der zwischenzeitlich verheiratet und Vater von vier Kindern ist, zu sehnen. Aber auch der bretonische Fischer sehnt sich nach seiner Geliebten, hat aber lange Zeit moralische Skrupel wegen dieser erotischen Beziehung, bis er erkennt, dass George im Grunde seine eigentliche Frau ist.

Sowohl für George als auch für Gauvin ist das gegenseitige körperliche Erleben durch Dritte nicht ersetzbar. Sie brauchen einander, um ihre Sehnsucht körperlich vorübergehend stillen zu können. Sexuelle Handlungen mit anderen Partnern bringen das Fieber der beiden aufeinander nicht zum Abklingen. Sex ist nicht einfach Sex, weiß George. Keiner kann ihn ihr so vermitteln wie Gauvin, was keine Frage von Technik ist. Durch ihn erkennt sie das Heilige ihn ihrer Wollust.

In ihrer Jugend glaubt George, dass sich lieben eins werden heißt. Später allerdings begreift sie, dass sich lieben bedeutet, zwei zu sein bis zur Zerrissenheit und dass eben genau diese Gegebenheit vielleicht die Leidenschaft zwischen Mann und Frau begründet Benoit Groults tiefe Wahrheit über das Geheimnis lang andauernder Liebe wird dokumentiert in der ungewöhnlichen Liebesgeschichte von George und Gauvin, die letztlich deshalb nicht voneinander lassen können, weil sie sich ihr Andersein in all den Jahren zugebilligt haben, obgleich auch ihnen dies nicht immer leicht gefallen ist.

Ein schöner Roman, über dessen Inhalt sich nachzudenken lohnt!