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Rezension: Alexandria 642. Roman des antiken Weltwissens

Der französische Astrophysiker Luminet hat einen Roman geschrieben über die berühmte Bibliothek von Alexandria. Dort haben tausend Jahre lang Naturwissenschaftler, Philosophen und andere Gelehrte sich bemüht, Kenntnisse jedwelcher Art zusammenzutragen. Durch dieses Wissen hat die Welt ein anderes Antlitz erhalten. 642 n. Chr. wurde die Bibliothek möglicherweise auf Geheiß eines ungebildeten, machthungrigen Kalifen in Brand gesetzt und zerstört. (Der Autor schreibt in seinem Nachwort, dass er sich ganz bewusst gegen die Form des historischen Essays entschieden habe, als er sich Gedanken darüber machte, wie er den Gegenstand der Betrachtung dem Leser nahe bringen solle, da letztlich "keine historische Wahrheit über jene ferne Zeit gesichert sei.")

Ausgangssituation des Romans ist die Eroberung Alexandrias duch Amr ibn al-As im Jahre 642 n. Chr. Dieser beduinische Feldherr soll im Auftrag seines Herrn die Bibliothek vernichten, weil sie den Allmacht - Vorstellungen des Kalifen zuwider läuft. Drei Gelehrte der Bibliothek versuchen eloquent und feinsinnig dem intelligenten Amr das geplante Vorhaben auszureden und ihn mit Argumenten zu versorgen, die ihn befähigen, seinen Herrn zu überzeugen von der Unsinnstat abzusehen.

So beginnen sie über die tausendjährige Geschichte der Bibliothek zu berichten, erzählen von den hochgeistigen Menschen, die sich dort über Jahrhunderte aufgehalten haben und erläutern welche Werke hier entstanden und beherbergt sind. Der Leser begegnet dem großen Mathematiker Euklid, hört von Aristarch von Samos, der lange vor Kopernikus erkannte, dass die Erde sich um ihre Achse und um die Sonne dreht. Archimedes und der Universalgelehrte Eratosthenes aus Kyrene bleiben nicht ausgespaart, letzterer hat u.a. die Primzahl entdeckt und die Grundlagen der Geographie erfunden. Dichter, wie Kallimachos und Aristophanes werden genannt, aber auch die Erkenntnisse des bedeutenden Astronomen Klaudios Ptolemaios kommen zur Sprache. Zudem ist von der Mathmatikerin und Philosophin Hypatia von Alexandria die Rede, die als Märtyrerin religiöser Intoleranz gegenüber den Naturwissenschaften ihr Leben lassen musste. Die Beschreibung dieser ungewöhnlichen Frau ist, nebenbei bemerkt, besonders beeindruckend. Unabhängig von den Glanzleistungen der vielen Denker, zeigt Luminet welchen Betrachtungswinkel die Herrscher der jeweiligen Zeit der Bibliothek gegenüber eingenommen haben. Die Klugen unter ihnen nutzten das in der Bibliothek aufbewahrte Wissen, um ihr Land zu modernisieren und zur Blüte zu bringen. Die Bornierten fügten, wenn sich ihre Dummheit mit Bosheit paarte, dem Ort des Wissens immer wieder Schaden zu. So auch 642 n.Chr., als es dem diesbezüglich glücklosen Amr, trotz stichhaltigster Argumentationskette, nicht gelang seinen Herrn davon zu überzeugen, dass diese Fülle von Kenntnissen für ihn von Vorteil sein könnte...

Der Untergang der Bibliothek von Alexandria wird von Jean- Pierre Luminet eindrucksvoll und spannend geschildert. Wer auch immer das antike Weltwissen zerstört haben mag, es muss ein boshafter, ignoranter Entscheider gewesen sein. Vielleicht sind Personen dieser Art in allen Jahrhunderten die schlimmste Heimsuchung für Menschen, die guten Willens sind.

Kurzer Nachtrag: Interessant sind im Anhang die sogenannten gelehrten Fußnoten, die längst Vergessenes aus dem Physikunterricht wieder in Erinnerung bringen.

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Rezension: Schattenhochzeit

Der auf der Insel Kreta geborene amerikanische Wissenschaftler Kyriakos Roussias besucht nach Jahrzehnten die Orte seiner Kindheit. Bei diesen handelt es sich um abgelegene Dörfer auf besagter griechischen Insel. Hier leben die Menschen primär von Schafzucht und weisen in ihrem Habitus offenbar noch recht archaische Züge auf. Roussias hat jene, ihm eigentlich nie vertraute Welt während seines Aufenthaltes in den USA allmählich verdrängt. Außer einigen folkloristischen Abenden mit entsprechender Musik und einer Menge "Raki", sowie sporadischen Telefonaten mit seiner alten Mutter hat er seine Herkunft aus seinem jetzigen Leben verbannt. Hierfür gibt es nachvollziehbare Gründe! Im Laufe der vergangenen fünfzig Jahre mußte Roussias Familie allein sieben Angehörige betrauern. Opfer der Blutrache sind sie alle geworden; mit anderen Worten sie haben sich gegenseitig umgebracht.

Die Autorin erzählt von kargen Landschaften und kleinen Ansiedlungen, von Hirten und deren Mühsal, von irritierender Rückständigkeit, von archaischer Lebensweise. Die geschilderten Menschen sprechen nur wenig miteinander. Missverständnisse werden insofern nicht aus dem Weg geräumt. Die Folge ist Streit, schon aus geringfügigem Anlaß; das Ergebnis: Familienfehde!

Die Männer dieser Region haben ein düsteres Auftreten, schwarzbekleidet, bis zu den Zähnen bewaffnet, gehören sie im Grunde einer vergangenen Welt an. Sie gehorchen frühzeitlichen Regeln, die im Widerspruch stehen zu den staatlichen Gesetzen. So verbringen sie einen Großteil ihres Lebens im Gefängnis, ohne sich tatsächlicher Schuld bewußt zu sein. Getrieben von rachelüsternen Frauen, gehorchen sie den alten Gesetzen der Familienfehden.

Auch Roussias Vater war Mörder und Opfer der Blutrache zugleich und stellt eine schwere moralische Bürde für den Sohn dar, der selbst mit seinem besten Freund über diesen Sachverhalt nicht sprechen kann. Das Inselgesetz fordert von ihm, dass er den Mord an seinem Vater rächt. Wie Roussias mit der an ihn gestellten Forderung umgeht, insbesondere als sich diese während seines Inselbesuchs erheblich verdichtet, lesen Sie auf den letzten Seiten des packend geschriebenen Romans....!

Ioanna Karystiani hat ein interessantes Buch geschrieben, das sich nicht zuletzt mit der Frage beschäftigt, ob man die mögliche Kluft zwischen Herkunft und späterem Leben so schließen kann, dass das Ergebnis Versöhnung zum Inhalt hat? Die Autorin findet eine Antwort, nachdem sie den Leser "mit Kreta", dem "Minenfeld verhängnissvoller Momente", vertraut gemacht hat.

Ein lesenswerter Roman!

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Rezension:Die Aspern-Schriften (Gebundene Ausgabe)


Ein amerikanischer Literaturwissenschaftler reist im vorletzten Jahrhundert nach Venedig, um dort Kontakt aufzunehmen mit der mittlerweile steinalten Muse eines berühmten, längst verstorbenen Dichters. Die hochbetagte Dame bewohnt gemeinsam mit ihrer blassen, auch nicht mehr taufrischen Nichte, die ihr gewissermaßen als Nurse zu Seite steht, einen morbiden Palazzo und hält sich ganz bewusst von ihren Mitmenschen fern. Die Greisin lebt mit ihren Erinnerungen, was konkret heißt, sie lebt mit den Briefen des toten Dichters Aspern. Dem jungen Literaturwissenschaftler gelingt es - inkognito - sich bei den verschrobenen Damen einzumieten. Auf diese Weise hofft er,  an die der Öffentlichkeit noch fremden Aspern-Schriften zu gelangen. Den Preis, den der Mann für die begehrte Habe zahlen soll, ist ungewöhnlich und erfordert eine baldige Gewissensentscheidung ...

Eine hervorragende Erzählung mit einem sehr interessanten Nachwort von Bettina Blumenberg. Sie lässt den Leser wissen, dass der Erzählung eine Anekdote aus Florenz zugrunde liegt und berichtet in der Folge über diese kleine Begebenheit. Auch weist Blumenberg darauf hin, dass Henry James durch seinen Text der Dichter Lord Byron, Shelley und Puschkin gedacht habe. Die Botschaft des Schriftstellers lautet,  ein Leben sei freudlos und verfehlt, wenn es sich fern von allem abspielt, was reizvoll sein könnte und so trete anstelle eines solchen Lebens die Kunst!

Ein empfehlenswertes Buch, das zum Nachdenken anregt.

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