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Rezension: "Über den Hass"- Manès Sperber, Band, 4, Der Kanon- Die Deutsche Literatur-Essays

Man hasst jene Menschen, die man entstellt hat, und man entstellt sie, um sie hassen zu können." (Manès Sperber, S. 463).

Der Philosoph Manès Sperber (1905-1984) hat für seine Werke eine Vielzahl von Auszeichnungen erhalten,  nicht zuletzt auch den Georg-Büchner-Preis und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Im 4. Band der Kassette "Der Kanon"- Die Deutsche Literatur- Essays hat man Gelegenheit seinen Essay "Über den Hass" zu lesen. Wie Sperber gleich zu Beginn schreibt, weiß im Gegensatz zum Hass die Liebe nichts von ihren Gründen und zwar "bis zu jenem Augenblick, in dem sie, um sich zu erhalten, von ihnen zu zehren beginnt; daran stirbt die Leidenschaft." (S. 443).

Hass hingegen suche unaufhörlich nach vernünftigen Gründen. Er möchte nicht Gefühl, vielmehr Überzeugung sein, Überzeugung, die auf einer unwiderlegbaren Erfahrung beruhe. Ein Mensch, der vom Hass verfolgt werde, könne nichts unternehmen, dass ihn in den Augen seiner Feinde weniger hassenwerter erscheinen ließ; er sei ebenso machtlos wie jene Menschen, von denen sich ein Paranoiker verfolgt glaube. 

Während der  "funktionelle Hass" verschwindet, wenn er nicht mehr angestachelt wird, gibt es einen Hass, der seit Jahrhunderten besteht. Er trägt den Namen "Antisemitismus". Über die historischen Wurzeln dieses abgründigen Hasses schreibt Sperber unter anderem in diesem brillanten Essay.

Der Philosoph hält diesen totalen Hass zu Recht für eine dauerhafte und gefährliche Erscheinung und verdeutlicht die Motive, die ich vor einigen Tagen in einem Beitrag zu "Gedanken zur Ethik und Kultur" eingebunden habe und es nicht grundlos erneut tue:

Sperber schreibt den Hass analysierend:

"Nun kann man aber bei jedem vom Hass bessenen Menschen diese besondere Angst feststellen; sie treibt ihn dazu, die Schuld für jene Unsicherheit, welche das Zwielichtige seines Wesens bestimmt, in einem anderen zu suchen. Deshalb hasst er im anderen:

1. Die Eigenschaften und Merkmale, die er selbst nicht oder nur in ungenügendem Maße besitzt, was er als unerträglich empfindet. Daher auch entwertet er diese, indem, er sie in unheimlicher Weise verdächtig macht;

2. die Fehler, von denen er sich selbst befreien möchte. Es fällt ihm leichter, diese bei sich selbst zu entschuldigen und zu verbergen, wenn er sie beim anderen ins Groteske steigert;

3. die Überlegenheit des anderen auf Gebieten, auf denen er sich hoffnungslos unterlegen weiß;

4. die Schwäche, den fehlenden Willen, oder im Gegenteil die Kraft, mit der sich der andere gegen seine Verfolger zur Wehr setzt. In allen drei Fällen findet der Hass die Bestätigung seiner sämtlichen Gründe, indem er bald eine unwürdige Heuchelei vermutet, hinter der sich eine verächtliche Feigheit versteckt, bald einen unergründlichen Hass;

5. Der Mut oder die Fähigkeit, sich Befriedigung zu verschaffen, von denen er zwar träumt, die er zu suchen aber nicht wagt oder die zu erlangen im nicht gelingt.

6. alles, was an den gehassten Menschen sympathisch, ehrbar oder bewundernswert macht, alles, wodurch er den Hass entwaffnen könnte, wird als Verstellung, als Verheimlichung, als verwerflicher Trick oder irreführende List entlarvt: der Hass aber findet in all dem einen zusätzlichen Beweis dafür, dass seine Opfer es "objektiv" verdient, der allgemeinen Verachtung ausgesetzt zu werden.(…)…"(S. 460ff)

Die Logik des Hasses agiere auf zweierlei Arten. Sie totalisiere und atomisiere. Der Mensch, der hasse, entpersönliche den, den er hasst und zwar in affektiver Weise. Da ein Mensch nicht dauerhaft hassen könne, muss man davon ausgehen, dass es sich bei totalem Hass um eine Krankheit, bzw. um partiellen Wahnsinn handele.

"Man hasst jene Menschen, die man entstellt hat, und man entstellt sie, um sie hassen zu können." (S. 463).

Die Ursache besteht darin, durch die absolute Negation des fremden Wertes die absolute Bestätigung des eigenen zu finden, so Sperber. "Der Mensch, der hasst, möchte nicht nur vernichten, sondern er will zudem verachten, die er zu entwerten sucht." (S. 464)

Der größte Triumph eines Menschen, der total dem Hass verfallen ist, sei jener, den Tag zu erleben, an dem die gehasste Person endlich kapituliere und sich offen selbst verachte. In einem solchen Fall würde der Hass   ein wenig gemildert und für kurze Zeit Ruhe finden.

Alle verhöhnten, gehassten Minderheiten können früher oder später feststellen, dass ihre Feinde nicht das Geringste von ihnen wissen, resümiert Manès Sperber.

Die Demagogen unserer Welt schüren Feindschaft und Hass noch immer, natürlich  ihres Vorteils wegen. Wer Hass beseitigen will, muss diesen Hass-Predigern, die  neuerdings auch im Marketing ihr Unwesen treiben, ohne Wenn und Aber den Garaus machen, so mein Fazit.

Ich stimme mit Sperber darin überein, dass abgründig hassende Menschen geisteskrank sind.

Empfehlenswert.

http://www.suhrkamp.de/insel-verlag_67.html

Rezension: Die Vermessung der Welt- Daniel Kehlmann

Die Protagonisten dieses Romans sind die Naturforscher Freiherr Alexander von Humboldt und der Mathematiker Carl Friedrich Gauß. Obgleich beide Ende des 18. Jahrhunderts damit beginnen die Erde zu vermessen, lernen sie sich erst viele Jahre später in Berlin persönlich kennen und werden dort in politische Turbulenzen hineingezogen, die auf diese, sich mit Zahlen und Fakten befassenden Männer in erster Linie befremdlich wirken. 

Humboldt, so erfährt man, forschte gemeinsam mit dem Botaniker Aime Bonpland in Mittel- und Südamerika. Er befuhr den Orinoko, wurde dabei unsäglich von Moskitos gequält, bestimmte aber dennoch den Verlauf des Rio Casiquiare, nahm genaue Orts- und Höhenbestimmungen vor und maß immer wieder Temperaturen. 

Später lebte der Aristokrat in Paris und wertete dort die Fakten seiner Expedition aus. Schon beinahe sechzigjährig reiste er, nach vorheriger Absprache mit Gauß, der seine wissenschaftlichen Erkenntnisse lieber zuhause von seinem Schreibtisch aus durch Nachdenken erwarb, an den Ural, um seine Arbeiten fortzusetzen. 

Das mathematische Genie Gauß war Professor für Mathematik in Göttingen. Der Begründer der modernen Zahlentheorie, so erfährt man, befasste sich u. a. mit schwer verständlicher Himmelsmechanik und vermaß das Königreich Hannover. Beide Personen werden vom Autor als sehr eigenwillig gezeichnet. 

Der Humanist Humboldt hat große Schwierigkeiten mit seinen Mitmenschen espritvolle Dialoge zu führen. Durch einen Schwall staubtrockener Zahlen bringt er seine Gegenüber immer wieder zum Schweigen. Er fordert von sich und seinem Umfeld stets viel und ist unnachgiebig, wenn er ein Projekt durchziehen möchte. 

Bonplant, sein französischer Reisebegleiter, lernt in Humboldt einen beinharten, unduldsamen Preußen kennen. Der hochintelligente Gauß empfindet - in Kehlmanns Buch- seine Mitmenschen, insbesondere seine Studenten und seinen Sohn Eugen als unverzeihliche Zumutung. Er leidet darunter, dass die Menschen, wenn überhaupt, nur sehr langsam begreifen. 

Gauß ist geistig seiner Zeit um Meilenschritte voraus und langweilt sich, weil alles nicht schneller vorangeht. Eine Begegnung mit Kant ist für ihn auch nicht ergiebig. Goethe und Schiller nimmt er nicht ernst. Die wahre Erkenntnis lässt sich nur aus den Naturwissenschaften ziehen, alles andere ist für Gauß eher unbedeutend. 

Für die Zahlenakrobaten Gauß und Humboldt besteht die Welt in Linien und Quadraten, mit denen man sich auseinanderzusetzen und die man zu begreifen hat. Das tun die beiden mit unterschiedlichen Methoden. Der Mensch ist für diese beiden Herren kein Forschungsobjekt, sieht man mal davon ab, dass Humboldt irgendwann eine statistische Erhebung über die Anzahl der Kopfläuse von Eingeborenen vornimmt. 

Kehlmann macht in seinem gehaltvollen und dabei spannenden Roman deutlich, dass in jedem Genie auch ein Mensch steckt und man mithin besser vorsichtig sein soll, wenn man sich einer Person nähert, die auf einem Sockel steht. Bei ungeschicktem Blickwinkel könnte man enttäuscht werden, da bekanntermaßen selten wirklich alles stimmig ist. 

Man hüte sich davor einem Genie gottgleiche Züge anzudichten. Kehlmann weiß das. Darüber hinaus hat der Autor hochinteressante, wissenschaftsgeschichtliche Informationen in sein Buch eingeflochten, die dazu anregen,  sich  auf vielleicht ganz neues Terrain zu begeben. 
Empfehlenswert,

Helga König, 16.10.2005