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Rezension: Der Duft des Lebens- Clara Maria Bagus- Ullstein leben

Dies ist das zweite Buch von Clara Maria Bagus, das ich auf "Buch, Kultur und Lifestyle" rezensiere. Ihr Erstlingswerk "Vom Mann, der auszog, um den Frühling zu suchen" sorgte 2016 bereits für viel Beachtung in den Medien. Clara Maria Bagus ist übrigens der Künstlername der Autorin, die in den USA und in Deutschland Psychologie studiert hat und einige Zeit in der Hirnforschung tätig war. 

Ort und Zeit der Romanhandlung sind nicht näher bestimmt. Was man jedoch gleich zu Beginn erfährt, ist, dass es sich um "eine Stadt ohne Ahnungen handelt". In besagter Stadt werden im Laufe der Geschichte, sich das Gute und Böse aufeinander zu bewegen, um- wie in allen Zeiten- miteinander zu ringen, genauso wie es offenbar deren Bestimmung ist.

Einer der Protagonisten ist Aviv, ein sympathischer Mensch, der mit vielen Tugenden und Begabungen ausgestattet ist. Seine leibliche Mutter verstarb einst im Kindbett. Seinen Vater kennt Aviv nicht, erfährt erst nach dessen Ableben, wer er war.

Großgezogen wird Aviv von seiner Hebamme, die ihm eine liebvolle Mutter und Weisheitslehrerin ist. Aviv, der nicht weiß, dass sein Vater einst als Professor Philosophie lehrte, wird ein handwerklich sehr begabter Glasbläser und erinnerte mich spontan an Hermann Hesses "Goldmund", obgleich er im Gegensatz zu diesem, den Ort seiner Herkunft nicht verlässt, so doch aber wie dieser seine Erkenntnisse durch praktische Erfahrung erwirbt und sich in seinem Verhalten und Tun um die Vollkommenheit seiner Seele bemüht.

Protagonist des Bösen ist der renommierteste Arzt der Stadt mit Namen Arthur Benjamin Kaminski, dessen Großvater ein Physiker war. Dieser fand das aggressive, zerstörerische Wesen seines kleinen Enkels so befremdlich und unmenschlich, dass er das Kind in Absprache mit seinem Sohn, dem Vater des kleinen Psychopathen, im Alter von neun Jahren ins Waisenhaus verbannte. Sich nun abgelehnt fühlend, wurde Arthur Benjamin "zu einem Menschen mit einer starren Unbeugsamkeit. Keinen seiner Entschlüsse ließ er sich von anderen ausreden und sich rein gar nichts vorschreiben."

Der später bestens ausgebildete Arzt gilt alsbald als Meister seines Fachs. Es wird ihm viel "Bewunderung, Respekt und Ehrfurcht" entgegengebracht, allerdings "war er zu wenig Mensch, um gemocht zu werden." Wie alle Psychopathen hatte auch er stets alles unter Kontrolle. Klug genug, um den Unterschied zu anderen Menschen zu begreifen, bemerkt er, dass "etwas Lebendiges, Warmes, Farbiges, Sinnhaftes" in seinem Wesen fehlte, das all die anderen Menschen hatten, doch er offenbar seelenlos war. Deshalb sucht er ehrgeizig nach einer Möglichkeit, sich das Beste der Seelen seiner Mitmenschen einzuverleiben, um so vollkommen zu werden. 

Während sich Aviv also um seelische Vollkommenheit bemüht, in dem er Gutes tut, strebt Kaminski sie an, indem er andere bestiehlt, später sogar ermordet, um an ihre Seele zu kommen. Dass dies der Weg nicht sein kann, leuchtet ihm allerdings nicht ein. Getrieben vom Mangel, erlebt man Kaminski ähnlich wie Jean-Baptiste Grenouille in Patrick Süßkinds Roman "Das Parfüm", der dort ohne Geruch zu Welt kommt, als Person, dem der Zugang zum Du völlig fehlt. 

Kaminski glaubt mit dem letzten Hauch eines Menschen dessen Seele habhaft zu werden und plant, diese in kleinen Glasbehältnissen zunächst aufzubewahren, um später sein egoistisches Vorhaben, durch die fremden Seelen zu einem zufriedenen Menschen zu werden, umsetzen zu können. So lernen Kaminski und Aviv sich kennen, weil der Arzt in der Glasbläsermanufaktur, in der Aviv arbeitet, die Behältnisse für den letzten Hauch der in seinen Händen Sterbenden ordert. 

Von den spannend zu lesenden Ereignissen im Buch möchte ich allerdings hier nicht zu viel verraten, wohl aber auf die vielen Reflektionen hinweisen, die das Buch durchziehen und mich immer wieder an die Weisheiten Coelhos erinnern, allerdings ohne dass diese gedanklich sich gleichen. So liest man beispielsweise: "Vorschnelles Urteilen, wenn man die Hintergründe nicht kennt, ist Diebstahl. Man beraubt diese Menschen um die Möglichkeit, gesehen zu werden, wie sie wirklich sind. Damit ist man selbst nicht besser als der Verurteilte." (…) "Weißt du, Aviv, einer der dunkelsten Momente im Leben eines Menschen ist, wenn sich alle von ihm abwenden."

Diese Reflektionen, deren Absicht nicht die Exkulpation der Romanfigur Kaminski ist, sondern wohl eher dabei hilft, zu unterscheiden, ob ein Mensch aufgrund der Umstände oder seines Wesens abgründig handelt oder ob beides vielleicht eine Rolle spielt, scheinen mir wichtig zu sein.

Ich möchte noch ein wenig aus der Gedankenwelt des Buches von Clara Maria Bagus an dieser Stelle offenbaren, indem ich einige bemerkenswerte Sätze, davon gibt es erfreulich viele, daraus zitiere: "Was macht ein Leben zu dem, auf das man am Ende blickt? Ist es lediglich die Summe aus getroffenen und versäumten Entscheidungen? Sind es unmerkliche Strömungen, die uns in die Richtung treiben, die wir nie einschlagen wollten? Ist es der Zufall, der uns dann und wann aus den unüberschaubaren Möglichkeiten des Lebens befreit? Die Launen des Schicksals, die unser Leben in so viele Stücke schneiden können, das es sich hinterher nicht mehr zusammensetzen lässt?"

Bei solchen Fragen innezuhalten und nachzudenken, lohnt, nicht nur, um die Personen im Buch besser zu begreifen, sondern vor allem, uns selbst und all jene, mit denen wir im Laufe unseres Lebens zu tun haben, vielleicht zu verstehen. Weisheitslehre, ist auch dies: "Der schlimmste Tod ist der Tod der Seele, der bei manchen Menschen dem Sterben des Körpers lange vorausgehen kann. Sie sterben am bloßen Sein. Vielmehr als Sinnleere braucht es dafür nicht."

Ein großes Thema in "Der Duft des Lebens" ist die Mitmenschlichkeit und deren abgründiger Gegensatz, der nicht wenig mit der Beschaffenheit der Seele zu tun hat. Das hat Clara Maria Bagus überaus gut herausgearbeitet. Damit stellt sie ihre analytischen Fähigkeiten unter Beweis. Gibt es von Geburt an seelenlose Menschen oder ist ein Psychopath wie Kaminski das Produkt seiner negativen Erfahrungen, das Ergebnis vieler Traumata? Der Roman fordert uns hier zum Nachdenken und vor allem zum Nachempfinden auf. 

Am Ende dieses sehr poetisch geschriebenen Buches weiß man vor allem mehr über den "Duft des Lebens", der in allem was Seele hat, vorhanden zu sein scheint. Man erkennt, dass der Duft, je intensiver und wohlriechender er verströmt, umso mehr im ethisch Guten verwurzelt ist. Dass dieses Gute jeden Augenblick lebt und alles erblühen lässt, was vom dem Duft berührt wird, macht ihn besonders geheimnisvoll, ganz so wie die "blaue Blume" der Romantik. 

In einer Zeit, in der der "Duft des Lebens" immer mehr verkümmert, weil jene, die ihn kultivieren, als Träumer oder Spinner belächelt werden, ist ein Buch wie jenes von Clara Maria Bagus geradezu ein Geschenk der Erkenntnis. Eintauchen und ein Seelenbad nehmen. Was kann es Besseres geben? 

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

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Der Duft des Lebens: Roman

Rezension: Eine Frau von Geist- Vita Sackville-West

Der Untertitel dieser Erzählung "Der geheimnisvolle Zauber des Puppenhauses von Königin Mary" zeigt bereits an, worum es in diesem Buch inhaltlich geht: Um das berühmte Puppenhaus für die britische Königin Mary nämlich, das 1921 nach einer Idee von Prinzessin Marie Louise von Schleswig-Holstein entworfen wurde. 

171 Autoren wurden seitens Marie Luise jeweils um einen exklusiven Beitrag zur Bibliothek des Puppenhauses gebeten. Vita Sackville-West war zu diesem Zeitpunkt schon eine etablierte Autorin, die bereits im Komitee des PEN Club einen Platz innehatte und zudem durch ihre Herkunft prädestiniert war, eine Einladung zu erhalten, da sie die Tochter von Lord Sackville of Knole war. 

Der Text, den Vita Sackville-West für die Bibliothek des Puppenhauses schrieb und der im Gerstenberg-Verlag erstmals einer breiten Leserschicht zugänglich gemacht wird, ist eine  kurzweilige Humoreske, deren Inhalt ich hier allerdings nicht wiedergebe, um die Neugierde auf das kleine Werk nicht zu mindern.

Nicht unerwähnt aber soll bleiben, dass die hübschen Illustrationen von Kate Baylay die fantasievolle Geschichte visualisiert und sie zum Leben erweckt. 

Im Nachwort von Matthew Dennison erfährt man Wissenswertes über die Autorin und ihre Werke, die alle autobiographischen Elemente aufweisen, wie er festhält. Dabei sei die Erzählung "Die Frau von Geist" trotz ihrer skurrilen Prämisse keine Ausnahme. 

Aber lesen Sie selbst… 

Sehr empfehlenswert 

Helga König
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Eine Frau von Geist: Der geheimnisvolle Zauber des Puppenhauses von Königin Mary

Rezension: Familiäre Verhältnisse- Sophie Bassignac

Die Autorin dieses humorvollen, etwas skurrilen Romans ist die in Paris lebende Französin Sophie Bassignac. Die Schriftstellerin hat bereits drei Romane geschrieben. Dabei wurde ihr 2013 erschienene Roman "Vielleicht ist es Liebe" mit dem Literaturpreis "Madame Figaro" ausgezeichnet. Die hier vorliegende Publikation "Familäre Verhältnisse" war in Frankreich 2016 ein Bestseller und Kritikererfolg. 

Erzählt werden die recht absurden Geschehnisse in einer Großfamilie auf dem Land. Dort trifft Isabelle jedes Jahr ihre eigenwillige Verwandtschaft. Mit von der der Partie ist Pierre, ein junger Nachrichtenjournalist, der in diese sehr talentierte Frau schwer verliebt ist. 

Zu Beginn des Romans werden die vier Generationen der Dynastie der Pettigrews vorgestellt. Das auch ist nicht unwichtig bei all den Akteuren in dem temporeichen Text. Isabelle gehört  übrigens der 3. Generation an. Wer nun einen Roman im Pilcher-Strickmuster erwartet, wird enttäuscht werden, denn alle Mitglieder dieser Dynastie, das wird rasch klar, fallen aus dem Rahmen der Konvention. 

Liberal und dabei sehr verschroben, entfaltet sich bei den agierenden Personen ein Zusammenleben, das für konventionell tickende Menschen mehr als nur gewöhnungsbedürftig sein dürfte. Bassignac treibt mit viel Wortwitz und Humor die Geschichte voran, die aus zahllosen skurrilen Einzelbegebenheiten besteht. Diese fügen  sich zu dem zusammen, was der Volksmund "mit leben und leben lassen" umschreibt und  veranschaulichen wie erfrischend gelebte Toleranz sein kann. 

Für Pierre ist dies alles ungewohnt. Ob er am Ende des Romans etwas Entscheidendes hinzugelernt hat?

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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Familiäre Verhältnisse

Rezension: Die Sünde der Frau- Connie Palmen- Diogenes

Die niederländische Schriftstellerin Conny Palmen hat ein neues Buch geschrieben. Es trägt den neugierig machenden Titel "Die Sünde der Frau". Das Werk enthält vier Essays über vier berühmte Frauen und zwar über Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith. 

Den auf bestimmte Punkte fokussierten Lebensbeschreibungen geht eine "Handreichung" für die Lektüre voran. Dort schreibt Conny Palmen, dass sie in den Beschreibungen der vier Leben versucht habe, eine Erklärung für deren selbstzerstörerisches Verhalten zu finden. Sie fragt, ob es etwas damit zu tun habe, dass der originäre Charakter dieser Personen, ihr origineller Kopf und ihr Talent sie ungeeignet für ein traditionelles Frauenleben gemacht und sie möglicherweise unter der Außenseiterrolle gelitten hätten. Des Weiteren will sie wissen, ob es damit zu tun habe, ob diese Frauen mit der Freiheit der Selbstbestimmung zugleich die Freiheit suchten, sich zu Grunde zu richten. 

Auffallend ist, dass alle vier Persönlichkeiten quasi ohne Vater aufwuchsen, darüber hinaus eine komplexe Mutterbeziehung besaßen und offenbar genau dies dazu führte, dass sie auf der Bühne einen anderen Namen annahmen. 

Alle vier Frauen haben gewissermaßen Regeln verletzt, indem sie Schranken des sogenannten Anstands, ihres Geschlechts und der herrschenden Moral durchbrachen. Sie taten dies, wie Palmen schreibt, um frei, souverän und autonom zu sein und nach ihren eigenen Regeln leben zu können. 

Im Leben einer solch "sündigen Frau" stehe Maßlosigkeit und Vergeudung mit allen Risiken über der konservativen Selbsterhaltung. Connie Palmen schließt aus ihrer Beschäftigung mit diesen weiblichen Persönlichkeiten zunächst, dass phantasiebegabte Frauen augenscheinlich zu Maßlosigkeit, Verschwendungs- und Genusssucht neigten und sich von einem gefährlichen Leben und dem Tod angezogen fühlten. 

Liest man die biografischen Betrachtungen, dann wird klar, dass bei allen vier Personen durch die Entwicklung ihres Talents ein bestimmter Mangel kompensiert, verdrängt oder verschleiert wird und diese Frauen möglicherweise an ihren erfolgreichen öffentlichen Rollen zerbrachen, da sie sich  als Individuum dort nicht wiederfanden, nicht wiederfinden konnten, weil dessen Entwicklung schon in der Kindheit der Raum fehlte.

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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Die Sünde der Frau: Über Marilyn Monroe, Marguerite Duras, Jane Bowles und Patricia Highsmith

Rezension: Olga – Bernhard Schlink- Diogenes

Den neuen Roman mit dem Titel "Olga" von Bernhard Schlink habe ich gelesen und zeitgleich gehört. Dies hat mir einen völlig neuen und dabei spannenden Zugang zu einem Text verschafft. 

Auf 5 CDs warten 354 Hörminuten auf den Romaninteressierten. Im Buch sind es 320 Seiten, die es zu lesen gilt. Man nimmt das Gelesene durch die wunderbare Betonung des Vorlesers Burghart Klaußner auf den CDs viel intensiver wahr, ist neugieriger auf das was kommt, weil die Stimme Klaußners Emotionen transportiert, die man selbstlesend, sich auf den Textinhalt konzentrierend,  wohl eher nicht bemerkt. 

Der Autor  von "Olga"  ist der Verfasser des weltberühmten Romans "Der Vorleser", der in 50 Sprachen der Welt übersetzt und mit vielen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet wurde. 

Die Romanhandlung beginnt zu Ende des vorletzten Jahrhunderts. Erzählt wird die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau, die aufgrund ihrer Neugierde und intellektuellen Fähigkeiten einen anderen Weg nimmt als er für sie gesellschaftlich vorgesehen ist. 

Olga wird in Schlesien als Arbeiterkind einer polnischen Mutter und eines deutschen Vaters  in Armut geboren und wächst, nachdem die Eltern an Fleckfieber sterben, bei ihrer Großmutter in Pommern auf. Ihr Verhältnis zu ihrer Großmutter ist alles andere als gut, weil diese aus ihr einen Menschen formen möchte, der Olgas Wesen nicht entspricht. 

Ein Lehrer gibt dem einsamen Mädchen Bücher aus der Bibliothek und der Organist lässt sie an der Orgel üben. Sie lernt die beiden Kinder der reichsten Familie im Dorf kennen, kann sich sich mit Herbert und Victoria anfreunden, weil die Geschwister "die Neugier und Bewunderung, mit der Olga sich für ihre Welt interessierte, unwiderstehlich" fanden. 

Olga möchte Lehrerin werden. Dazu muss sie in einer Aufnahmeprüfung die Kenntnisse der oberen Klasse der "Höheren Mädchenklasse nachweisen". Ihr fehlen aber die materiellen Mittel für diese Schule, deshalb entschließt sie sich, die Kenntnisse der oberen Klasse selbstständig anzueignen. Dies gelingt ihr aufgrund ihrer Intelligenz und ihres Fleißes mit Bravour. 

In dieser Zeit entwickelt sich die tragische Liebesbeziehung zu Herbert, der so völlig anders ist als sie, sich nicht für Bücher interessiert, sondern den eine undefinierbare Sehnsucht in die Welt hinaustreibt. Mit Herbert lernt der Leser einen typischen jungen Mann der Zeit vor dem ersten Weltkrieg kennen. Er möchte ein Übermensch werden und "nicht rasten und nicht ruhen, Deutschland groß zu machen und mit Deutschland groß zu werden, auch wenn es ihm Grausamkeit gegen sich und gegen andere abverlangte."

Olga findet seine Worte zwar hohl, aber das hindert sie nicht ihn zu lieben. Liebe und Anziehung sind eben keine Frage von Gesinnung, sondern der Emotionen, die sich nicht problemlos  steuern lassen. 

Olga wird Lehrerin in Tilsit. Herbert geht nach Afrika und führt als Mitglied einer Schutztruppe Krieg gegen die Herero. Hier skizziert der Autor in wenigen Sätzen die Grausamkeit der damaligen kolonialen Politik. Herbert vermeidet in seinen Briefen die Realität darzustellen. Er möchte Olga in erster Linie imponieren. Für ihn sind die Schwarzen ein Menschenschlag, der noch auf tiefster Kulturstufe steht. Für ihn wäre eine Niederlage ein "furchtbarer Rückschlag im zivilisierten Völkerleben". 

Nach seiner Rückkehr aus Afrika beginnt sein Reiseleben. Die Beziehung zu Olga ist sein Ruhepol, aber diese Verbindung, die nicht in einer Eheschließung münden wird, hindert ihn nicht seine Sehnsucht nach der Ferne auszuleben. 

Das Kind, um das sich Olga sich fortan während ihres Alleinseins  besonders kümmert heißt Eik. Wer dieses Findelkind tatsächlich ist, erfährt man auf den letzten Seiten des Buches. 

Nachdem Herbert Argentinien, Brasilien, die Halbinsel Kola, Sibirien und Kamtschatka bereist hat, plant er eine Reise in die Arktis und sucht Geldgeber für die Expedition. Olga hilft ihm dabei, frei sprechen zu erlernen, damit er in Vorträgen Fürsprecher für seine Expedition werben kann. 1911 findet er in Herzog Ernst von Sachsen-Altenburg den ersten Förderer. 1913 dann beginnt Herbert die Expedition, von der er nicht mehr zurückkehren wird. 

Man erfährt  in der Folge von  Ereignissen im 1. Weltkrieg und vom sinnlosen Auslöschen einer Generation junger Männer, liest von der nicht enden wollenden Trauer Olgas um ihren Geliebten und  von ihrer einzigen Freude in diesen Jahren, ihrem Zögling Eik, der sich zu ihrem Entsetzen in einen strammen Nazis verwandelt. 

Olga ist sozialdemokratisch eingestellt und weigert sich ihren Schülern Rassenlehre nahezubringen. Mit 53 Jahren wird sie  von den Nazis aus dem Schuldienst entlassen,  nicht nur weil sie taub geworden ist, lernt aber in Breslau in der dortigen Hörschule das Lippenlesen und kann fortan als Näherin ihren Lebensunterhalt verdienen. 

Ihr gelingt 1945 die Flucht in den Westen, weil sie überleben und nicht so enden möchte wie Herbert. Hier arbeitet sie erneut als Näherin für mehrere Familien, erhält schließlich eine kleine Pension und näht nur noch für die Familie des Ich-Erzählers Ferdinand, der im 2. Teil des Buches die tragende Rolle einnimmt. Er ist der Sohn der Familie  und der neue Zögling Olgas. 

Zwischen den beiden entwickelt sich eine herzliche Freundschaft, die bis zum Ableben Olgas bestehen bleibt. Diese berührende Freundschaft der beiden ist intellektueller Natur und offenbart bei allem eine große Seelenverwandtschaft.

Dass Olga schließlich eines tragischen Todes stirbt, verwundert letztlich nicht. Er passt zu dieser Romangestalt. 

Die Romanhandlung endet allerdings nicht mit dem Ableben Olgas. Es folgt eine Art Entschlüsselung ihrer Lebensgeheimnisse durch Briefe, in deren Besitz Ferdinand nach seiner Pensionierung kommt. Diese werden hier in der Rezension natürlich nicht verraten. Durch Olgas Briefe an Herbert, die dieser nie erhalten hat, lernt man die sehr nachdenkliche Frau in ihrer Tiefe kennen und begreift ihre menschliche Größe, mit der sie ihr persönliches Schicksal gemeistert hat. 

Ein großer Roman mit vielen unterschiedlichen Facetten, der in erster Linie eine Verbeugung vor all den mutigen Frauen ist, die sich nicht blenden ließen von der pervertierten Stärkeverherrlichung und Großmannssucht mehrerer Männergenerationen, die im Nationalsozialismus ihren Höhepunkt fanden, aber letztlich in der Gegenbewegung der 1968er Generation auf moralischer Ebene bedenklich gespiegelt wurden. 

Dass das gedankliche Band zu Herbert bis zu Olgas Tod bestehen bleiben konnte, zeigt was geschieht, wenn man mit einem geliebten Menschen über den Tod hinaus noch hadert.

Sehr empfehlenswert. 

Helga König

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